Dr. phil. Beate Letschert-Grabbe


Seit etwa vierzig Jahren ist die Individualpsychologie Alfred Adlers mit ihrem Kerngedanken der „Ermutigung“ die Grundlage meiner beruflichen Arbeit in allen Bereichen. Ausgebildet am Alfred-Adler-Institut der Deutschen Gesellschaft für Individualpsychologie (DGIP) in Delmenhorst, bin ich Individualpsychologische Beraterin und Supervisorin. Ich war Schulleiterin einer Grundschule in Schleswig-Holstein, Dozentin und später Lehrbeauftragte am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg, wo ich bei Prof. Hans Josef Tymister promovierte, und als Hauptseminarleiterin am Institut für Lehrerbildung und Schulentwicklung verantwortlich für die Lehrerausbildung in Hamburg war. Seit 2005 bin ich schwerpunktmäßig in der Lehrerfortbildung tätig und arbeite mit Kollegien verschiedener Schulformen an pädagogischen und individualpsychologischen Themen. Ich bin Referentin u.a. bei der DGIP und bei dem Niederländischen Institut für Unterricht und Erziehung (NIVOZ/HetKind). Meine Arbeitsschwerpunkte sind: Umgang mit Kindern mit destruktivem Verhalten und Möglichkeiten ihrer Ermutigung, Zusammenarbeit mit Eltern und Elterngespräche, Schulentwicklung und pädagogische Schulprofilgestaltung, Kollegiale Unterrichtsreflexion und Supervision. In den vergangenen Jahren erschienen die beiden Bücher „Dennis: Ich bin hier der Schulschreck!“ im VTA-Verlag und „Das übersehene Kind“ im Verlag Beltz Juventa. Wenn Sie mehr über die einzelnen Stationen meines Werdegangs erfahren möchten, klicken Sie bitte unten auf die einzelnen Pluszeichen.  
                                                                 

Stationen meines beruflichen Werdegangs

 

 

Der Anfang in Hamburg: Lehrerin und Lehrbeauftragte (1975 – 1983)

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Ausgebildet als Grund- und Hauptschullehrerin – Studium in Münster und Hamburg -, begann ich meine berufliche Tätigkeit in Hamburg-Altona. Dort übernahm ich eine so genannte Ausländer-Vorbereitungsklasse mit „Gastarbeiterkindern“, die überwiegend aus der Türkei und aus Griechenland kamen. Meine Arbeit in der Schule war in erster Linie eine Art Lebenshilfe für diese Kinder. Sie war gekennzeichnet durch einen stark differenzierten Unterricht, immer orientiert an ihren aktuellen Lebenssituationen, durch etliche Hausbesuche, bei denen ich die Gastfreundschaft der Eltern erlebte, sowie durch Elternabende, an denen Kinder mit fortgeschrittenen Deutschkenntnissen teilnahmen, um für ihre Eltern, die kaum Deutsch sprechen konnten, zu übersetzen (Grabbe, Beate und Hans Josef Tymister: Ahmet und sein Vater machen Unterricht. In: geographie heute, 7/1981, S. 14-16). Da die Kinder auf das Leben in einer deutschen Großstadt ebenso wenig vorbereitet waren wie ich auf den Unterricht mit ihnen, waren wir bei unserer täglichen Arbeit sehr aufeinander angewiesen, und so entstand in enger und oft spontaner Zusammenarbeit ein von den unmittelbaren und zum Teil elementaren Erfahrungen und Bedürfnissen der Kinder ausgehender Unterricht, an dessen Planung und Durchführung die Kinder immer beteiligt waren. – Außerhalb von Schule und Unterricht arbeitete ich in einer Lehrplankommission des Amts für Schule der Hamburger Schulbehörde sowie in einem Gremium für die Entwicklung von Schulbüchern für Kinder ausländischer Arbeitsnehmer.

 

Nach der Ausländer-Vorbereitungsklasse übernahm ich ein 1. Schuljahr und beteiligte mich an dem vom Amt für Schule initiierten Schulversuch Elternmitarbeit im Unterricht der Grundschule, dem so genannten „Hamburger Modell“. Auf der Grundlage meiner Erfahrungen mit der Einbeziehung von Eltern in die tägliche Unterrichtsarbeit schrieb ich meine Doktorarbeit im Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg bei Prof. Hans Josef Tymister. Das Thema war: Chancen und Probleme der Kooperation zwischen Lehrern und Eltern bei der Elternmitarbeit im Unterricht der Grundschule. Im Jahr 1982 wurde ich promoviert. (Grabbe, Beate: „Aber das ist doch kein Unterricht!“ Elternmitarbeit in einer Hamburger Grundschulklasse. In: Heiko Balhorn u. a. (Hrsg.): Sprachunterricht 2-4. München/Wien/Baltimore 1981, S. 184-195. Grabbe, Beate: Neuralgische Punkte der Elternmitarbeit im Unterricht. Erfahrungsbericht aus einer Hamburger Grundschulklasse. In: Rudolf W. Keck (Hrsg.): Erziehung ist unteilbar – Eltern und Lehrer als Partner. Beispiele für den Schulalltag. Freiburg/Basel/Wien 1981, S. 71-82.)

 

Ich wechselte von der Grundschule an die Universität und wurde wissenschaftliche Assistentin und Dozentin – später Lehrbeauftragte – am Fachbereich Erziehungswissenschaften. Die Kooperation mit Lehrkräften und Schulräten, die im Zusammenhang mit dem Schulversuch „Elternmitarbeit“ begonnen hatte – hier möchte ich vor allem den für Hamburg und seine Schulpolitik wegweisenden Oberschulrat Hermann Schwarz erwähnen –, wurde nun am Institut für Grundschulpädagogik des Fachbereichs Erziehungswissenschaften fortgesetzt, und so entstand auch hier eine enge und nachhaltige Verknüpfung von Theorie und Praxis. Unter der Leitung von Hans Josef Tymister wurde ein Kolloquium ins Leben gerufen, das sich aus Schulräten, Lehrkräften und Studierenden zusammensetzte, und in welchem sowohl die Lehrkräfte von ihren praktischen Erfahrungen in Schule und Unterricht berichteten als auch die Studierenden ihre Examensarbeiten vorstellten. Über viele Jahre habe ich Studentinnen und Studenten bei ihren Besuchen in verschiedenen Hamburger Schulen begleitet und mit ihnen die dort gewonnenen Eindrücke und pädagogischen Erfahrungen reflektiert – in Einzelgesprächen wie auch im Rahmen der Seminararbeit.

 

Parallel zu meiner Tätigkeit an der Universität Hamburg absolvierte ich die Ausbildung zur Individualpsychologischen Beraterin und Supervisorin am Alfred-Adler-Institut der Deutschen Gesellschaft für Individualpsychologie (DGIP) in Delmenhorst.

In Schleswig-Holstein: Seminarleiterin am IPTS und Schulleiterin (1984-1994)

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In Pinneberg (SH), am damaligen Institut für Praxis und Theorie der Schule (IPTS), übernahm ich die Stelle einer hauptamtlichen Studienleiterin für die Fächer Schulpädagogik und Deutsch. Meine Tätigkeit gliederte sich in zwei Aufgabenbereiche: Ausbildung von Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern und eigener Unterricht. Mit nur zehn Stunden pro Woche wurde ich Klassenlehrerin einer 3. Grundschulklasse in Hemdingen in der Nähe von Pinneberg. Dabei handelte es sich nicht nur um eine mit 31 Kindern besonders große, sondern mit mehreren stark verhaltensauffälligen Kindern auch um eine besonders herausfordernde Klasse. Erschwerend kam hinzu, dass ich wegen Hospitationsverpflich-tungen an anderen Schulen nicht jeden Tag in meiner Klasse sein konnte. Ähnlich wie bei der Ausländervorbereitungsklasse in Hamburg waren auch hier besondere pädagogische Maßnahmen erforderlich. Ohne die Individualpsychologie und deren Herzstück, die Ermutigung, hätte ich diese pädagogische Herausforderung, der ich unversehens gegenüberstand, wohl kaum bewältigen können. Alles, was ich in meiner individualpsycho-logischen Ausbildung gelernt hatte, konnte ich in die Praxis umsetzen und überprüfen, und mit allem, was wiederum im Unterricht geschah, lernte ich den pädagogischen Ansatz Alfred Adlers mehr und mehr zu verstehen. Aus der Arbeit mit dieser Klasse ist sowohl eine Serie mit schuljahresbegleitenden Aufsätzen in der Zeitschrift „Grundschule“ entstanden (1989-1992) als auch, einige Jahre später und erstmals im Auer-Verlag erschienen, das Buch „Dennis: Ich bin hier der Schulschreck!“ (2002; siehe Veröffentlichungen). Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus dieser Zeit haben mich nachhaltig geprägt und in meinem beruflichen Leben geleitet. Die „Lektion“, dass, je schwieriger und destruktiver die Verhaltensweisen junger Menschen sind, umso notwendiger deren Ermutigung ist, hatte ich gelernt. 

 

Während meiner Zeit als Studienleiterin am IPTS entwickelte ich ein Projekt, das zunächst als Erziehungshilfe für Eltern gedacht war: ein „Eltern-Seminar“. Hier sollten nicht etwa die Eltern „erzogen“ werden, sondern sie sollten Unterstützung bekommen für die Erziehung ihrer Kinder. Dabei handelte es sich um eine öffentliche Vortragsreihe zu ausgewählten Themen der familiären Erziehung. Da das Interesse groß und die Vorträge entsprechend gut besucht waren, entschloss ich mich im darauffolgenden Jahr zu dem Versuch, Kinder zwischen acht und zwölf Jahren in die öffentliche Diskussion mit einzubeziehen, und so wurde aus dem „Eltern-Seminar“ ein „Eltern-Kinder-Seminar“ mit folgender Organisation: Etwa vier Wochen nach einem Vortrag für die Eltern zu einem bestimmten Thema – z. B. zum Thema „Verwöhnung“ – folgte ein Gespräch mit einer kleinen Gruppe von Kindern zum gleichen Thema. Ausgangspunkt in beiden Veranstaltungen waren immer Beispielsituationen aus dem familiären Alltag. Diese wurden beim Eltern-Seminar im Rahmen des Vortrags und beim Kinder-Seminar in einer kleinen Gesprächsrunde mit Kindern reflektiert. Beim Kinder-Seminar waren die Eltern Zuschauer. Für sie ergab sich auf diese Weise die Möglichkeit, Fragen und Problembereiche der Erziehung nicht nur aus ihrer eigenen Sicht, sondern auch – und mit Distanz – aus der Perspektive von Kindern zu sehen. Die Seminare fanden viermal pro Halbjahr statt, jeweils zwei Eltern-Seminare und zwei Kinder-Seminare im Wechsel.

 

Ich möchte hier nicht ausführlich auf die Seminare eingehen – es ist auch ein Bericht über meine Erfahrungen mit diesen Veranstaltungen erschienen; siehe Ende des Absatzes -, doch möchte ich, stellvertretend für viele kluge Gedanken der Kinder, den Wortbeitrag eines zehnjährigen Mädchens wiedergeben. Es ging um das Thema „Partnerschaft zwischen Eltern und Kindern“. Was bedeutet „Partnerschaft“ und was nicht? Das Mädchen sagte: „Es geht ja auch nicht einfach nur um Nähe. Es geht ja eigentlich darum, dass beide Partner über Nähe und Abstand mitentscheiden. Sonst ist das ja auch keine richtige Partnerschaft!“ Auf Einladung der Royal Society oft Arts (RSA) habe ich dieses Modell 1993 in London vorgestellt. Das Kinder-Seminar kann als Vorläufer der Einbeziehung von Kindern in dem Buch „Das übersehene Kind“ betrachtet werden. Das Buch erschien 35 Jahre später. (Grabbe, Beate: Kinder, Eltern und Lehrer – Partner in der Erziehung. In: Hamburg macht Schule. Zeitschrift für Hamburger Lehrerinnen und Lehrer, 5/1994, S. 18-19.) – Nach fünfjähriger Tätigkeit als Schulleiterin einer Grundschule in Wedel, Schleswig-Holstein, ging ich 1994 zurück nach Hamburg.

Zurück in Hamburg: Hauptseminarleiterin am Institut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (1994-2004)

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Im Jahr 1994 wurde ich Hauptseminarleiterin für den Bereich Primar- und Sekundarstufe I am Institut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg. Anders als in Schleswig-Holstein, wo sich die Tätigkeit zum einen auf Ausbildung und zum anderen auf eigenen Unterricht erstreckte, geht es bei der Hauptseminarleitung in Hamburg ausschließlich um die Ausbildung von Referendarinnen und Referendaren. Die Hauptseminarleiter/innen betreuen pro Durchgang – dieser umfasst 18 Monate – rund 60 Referendare und sind deren Vorgesetzte und die für die Ausbildung und deren Organisation Verantwortlichen. Abgesehen von den wöchentlich stattfindenden Hauptseminarsitzungen, gehören u. a. folgende Aufgabenbereiche zum Tätigkeitsfeld:

 

  • Zuweisung der Referendarinnen und Referendare an Schulen
  • Fortbildung und Qualifizierung von Lehrkräften für die Mentorentätigkeit
  • Unterrichtshospitationen bei Referendarinnen und Referendaren und deren Beratung
  • Zusammenarbeit mit Seminarleiterinnen und Seminarleitern
  • Organisation und Leitung der Staatsexamina
  • Mitarbeit in berufsbezogenen Gremien und Arbeitsgruppen

 

Im Rahmen des komplexen und dynamischen Aufgabenfeldes der Hauptseminarleitung lag mein Schwerpunkt in der stetigen und, soweit möglich, verlässlichen Begleitung der Referendare bei der Entwicklung einer individuellen und belastbaren pädagogischen Haltung. Dazu gehörte, auch unabhängig von Unterrichtsbesuchen, sowohl das Gespräch über aktuelle Lernerfahrungen und -entwicklungen als auch die Unterstützung im Umgang mit unerwartetem Schülerverhalten. Letzteres war - und ist - insofern von nicht zu unterschätzen-der Bedeutung, als Schülerinnen und Schüler während eines Unterrichtsbesuchs oft ein relativ angepasstes Verhalten zeigen, was bedeutet, dass die Referendarinnen in eher unkalkulierbaren und besonders herausfordernden Situationen, wie sie verstärkt im Berufsleben nach der Ausbildung vorkommen, auf sich allein gestellt sind. Darum hielt ich es für erforderlich, in unterschiedlichsten Ausbildungszusammenhängen die Analogie zwischen der eigenen Lernsituation und den damit verbundenen Erfahrungen auf der einen Seite und den Lernerfahrungen der Schülerinnen und Schüler auf der anderen Seite zu thematisieren. Besonders in diesem Zusammenhang konnte die elementare Bedeutung von Resonanz und Beachtung, von dialogischer Lernbegleitung und gezielter, differenzierter Anerkennung bewusst gemacht werden. Die Referendarinnen und Referendare sollten die Notwendigkeit der Ermutigung an sich selbst erfahren, um sie im Umgang mit zu unterrichtenden Kindern und Jugendlichen nicht aus dem Blick zu verlieren. So war es mir ein wichtiges Anliegen, die notwendigerweise hohen Ansprüche an die Berufsvorbereitung und spätere -ausübung mit der eingehenden Betrachtung von gelungenem und wirksamem Lehrerverhalten zu verbinden und auf diese Weise die zugrundeliegenden Fähigkeiten so früh wie möglich sichtbar zu machen. 

In NRW: Fortbildungstätigkeit als Referentin des Studieninstituts Niederrhein (S.I.N.N) und Arbeit an dem Buch „Ist mir doch egal!“ (2005-2015)

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In der Zeit von 2005 bis 2015 war ich, mit einigen kurzen Unterbrechungen, Referentin beim Studieninstitut Niederrhein (S.I.N.N) in Krefeld, einem Institut für die berufsvorbereitende und -begleitende Weiterqualifizierung und Fortbildung von Beamtinnen und Beamten. Im Auftrag des S.I.N.N habe ich ganztägige Lehrerfortbildungen zu unterschiedlichen schulbezogenen und pädagogischen Themen durchgeführt. Die Veranstaltungen fanden meistens schulintern, gelegentlich aber auch im Institut statt – dort dann schulstufen- und schulformübergreifend. Das bei allen Schulformen - ob Grundschule oder Hauptschule, ob Förderschule, Berufsschule oder Realschule - mit Abstand gefragteste Thema war, über den gesamten Zeitraum hinweg, der „Umgang mit verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schülern“, um hier die gebräuchlichste Formulierung zu verwenden. Andere mit diesem Problembereich eng verbundene Themen waren z. B. „Schwierige Gespräche mit Eltern“ oder „Gespräche mit Kindern“. Eine meiner prägnantesten Erfahrungen in diesem Zusammenhang war, dass sich Lehrkräfte, gefragt nach Wünschen und Erwartungen in Bezug auf die Veranstaltung, fast immer Unterstützung für Gespräche im Kontext „schwierigen Schülerverhaltens“ wünschten, ihnen aber nicht immer bewusst war, dass Gespräche – zumindest zum Teil – auch deshalb „schwierig“ sind, weil sie außerhalb des „schwierigen Verhaltens“ zu wenig geführt werden. Der Fokus lag also bei allen Beteiligten, bei Kindern bzw. Jugendlichen wie bei Lehrkräften, überwiegend auf dem problematischen Teil des Schüler/innendaseins – einerseits nachvollziehbar, andererseits eine Form der ungewollten Perpetuierung des Problems und damit auch ein Teil dieses Problems.

 

Bedenkt man andererseits, dass viele dieser Schulen, z. B. im Umkreis von Duisburg, mitten in sozialen Brennpunkten liegen, wo in relativ großen Klassen unterschiedliche Religionen und Kulturen vertreten sind, wo der Anteil an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshin-tergrund sowie an geflüchteten Schülerinnen und Schülern hoch ist, und wo die Lehrkräfte zusätzlich den Anforderungen der Inklusion gerecht werden müssen – bedenkt man all das, so hat man gut reden. „Es gibt hier keine ‚normalen‘ Gespräche!“ sagte einmal eine Kollegin im Rahmen der Fortbildung. Mehr als für mich irgendwo sonst vorstellbar, ging es hier also primär um die Stärkung von Lehrkräften, d. h. um Fragen der Resilienz, der nachhaltigen Ermutigung und eines entsprechenden Fortbildungskonzepts. Notgedrungen und angeregt durch vielfältige Resonanz der Kolleginnen und Kollegen, entstand nach und nach ein Fortbildungsmodell, das ich im Laufe der Zeit immer wieder überarbeitete, und das sich schließlich in der Fortbildungsarbeit bis heute bewährt hat.

 

Ohne im Detail auf dieses Konzept eingehen zu wollen, möchte ich doch dessen Kerngedanken kurz umreißen. Lehrkräfte, die sich zu den oben erwähnten Veranstaltungen anmelden, sind häufig so frustriert, dass sie ihre pädagogischen Fähigkeiten nicht mehr adäquat wahrnehmen oder diese unterschätzen. Der Ausgangspunkt bei der Fortbildungsveranstaltung ist darum das Zusammentragen und die genaue Reflexion von Situationen aus dem eigenen Unterricht, die zwar irgendwann als gelungen erlebt wurden, aber, statt als Richtschnur für ein weiterzuentwickelndes pädagogisches Konzept genutzt zu werden, eher im Sande verliefen. Fast immer machen Kolleginnen und Kollegen an dieser Stelle die Erfahrung, über ein größeres Handlungsinstrumentarium zu verfügen als sie gedacht hatten. Der erste Schritt für die dann folgende mehrstufige Arbeit am pädagogischen Konzept für eine Schülerin oder einen Schüler ist also immer der Blick auf angewandte und damit grundsätzlich vorhandene, aber im Zuge eines zunehmend komplexen und anstrengenden Schulalltags verloren geglaubte Fähigkeiten. - Näheres über diese Art der Fortbildung ist zu finden in dem am Ende des Absatzes aufgeführten Artikel sowie, ausführlicher, in dem Buch „Das übersehene Kind“. 
(Letschert, Beate: Von der Erfolgsanalyse zur Selbstermutigung. Prinzipien individualpsychologisch ausgerichteter Lehrerfortbildung zum Thema „Umgang mit Kindern mit destruktivem Verhalten“. In: Zeitschrift für Individualpsychologie, 2/2016, S. 133-146.)

 

2014 erschien das Buch „Ist mir doch egal! Ermutigung: Eine pädagogische Herausforderung“ (siehe Veröffentlichungen). Dieses Buch entstand in Zusammenarbeit mit Jos Letschert und Maria Clasen. Es befasst sich nicht nur mit zentralen Themen der häuslichen Erziehung und schulischen Pädagogik – dies in stetigem Wechsel zwischen individualpsychologisch ausgerichteter Reflexion und authentischen Situationen aus Schule und Unterricht -, sondern bezieht auch schul- und bildungspolitische Bereiche wie Inklusion, Lehrplanentwicklung oder den Wandel in der gesellschaftlichen Bedeutung der Lehrkraft mit ein. Das Herzstück dieses Buches ist ein ausführlicher Teil über Gespräche mit Kindern mit auffälligem Verhalten.

Überarbeitung und Aktualisierung des Buches „Dennis: Ich bin hier der Schulschreck!“ und Arbeit an dem Buch „Das übersehene Kind“ (2017-2021)

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Das Buch „Dennis: Ich bin hier der Schulschreck!“ erschien erstmals 2003 im Auerverlag Donauwörth – etwa fünfzehn Jahre nachdem ich die Klasse, über die ich in dem Buch schreibe, unterrichtet hatte. Ich nutzte ein Sabbatjahr für dieses Projekt. Glücklicherweise habe ich seinerzeit eine Art „pädagogisches Tagebuch“ geführt und darin die im wahrsten Sinne des Wortes bemerkenswerten Ereignisse aus der Arbeit mit meiner Klasse festgehalten. Auch Zeichnungen, Zettel, Notizen und Briefe der Kinder habe ich aufgehoben. In den späten achtziger Jahren, also noch nicht im Besitz eines Handys, trug ich meistens auch einen kleinen Kassettenrekorder mit mir herum, damit ich jederzeit in der Lage war, Gespräche mit Kindern – Einzelgespräche oder auch die so genannten Stuhlkreisgespräche – aufzunehmen. Viele Kinder waren erpicht darauf, „auf Band zu kommen“, wie sie es nannten, und so passierte es nicht selten, dass ein Kind, durchaus auch mal im Unterricht, z. B. rief: „Frau Grabbe, schalten Sie mal den Rekorder ein! Ich glaube, Olaf sagt was Wichtiges!“ Auf diese Weise blieben geplante wie spontan geführte Gespräche mit den Kindern - mitsamt dem „Wichtigen“, das sonst noch geschah - erhalten.  

 

„Dennis: Ich bin hier der Schulschreck!“ ist eine Dokumentation, fast könnte man sagen: ein Unterrichtsroman. Im Zentrum steht die pädagogische Arbeit mit einer ungewöhnlich großen, „schwierigen“ Klasse sowie vor allem mit Dennis, dem „Schulschreck“, wie er selbst sich nannte: dem eigenwilligsten, auffälligsten und aggressivsten Kind, das ich während meiner Berufstätigkeit erlebt habe. Beschrieben wird die Entwicklung dieses Jungen vom krassen und zum Teil verhassten Außenseiter zum geschätzten und verantwortungsbewussten Mitglied der Klassengemeinschaft – eine Entwicklung, die auf der Basis der Individualpsychologie und innerhalb von nur anderthalb Jahren stattfand, und die in ihren spannenden und aufregenden, in den manchmal frustrierenden und dann wieder ermutigenden Phasen beschrieben und reflektiert wird (siehe hierzu auch den Teil „In Schleswig-Holstein: …“ unter dieser Kategorie).

 

Wiederum fünfzehn Jahre nach der Erstveröffentlichung, im Sommer 2018, erschien die 2. Auflage dieses Buches im Verlag für Tiefenpsychologie und Anthropologie (VTA), Berlin. Der Schweizer Individualpsychologe Jürg Frick (Prof. Dr. em. der Pädagogischen Hochschule Zürich) hatte mir eine Neuveröffentlichung empfohlen und zu dieser dann auch das Geleitwort geschrieben. Die Entscheidung, den „Schulschreck“ neu aufzulegen, führte nicht nur zu einer gründlichen Überarbeitung, sondern auch zu einem neuen, umfangreichen Schlussteil, welcher in einem “20–Punkte-Programm“ die wichtigsten der im Buch thematisierten pädagogischen Prinzipien noch einmal aufgreift, beschreibt und zusammenstellt sowie, ganz unabhängig vom Kontext dieser Grundschulklasse, Empfehlungen zur Ermutigung entmutigter Kinder gibt.

 

Nach Abschluss des Buches „Dennis“ begann ich Ende 2018 mit der Arbeit an einem neuen Projekt, genauer: mit Vorüberlegungen und dem Konzept für das Buch „Das übersehene Kind“, das bei Beltz Juventa erscheinen sollte. Der Titel resultiert aus meinen persönlichen Beobachtungen und Eindrücken aus dem Alltag. Zu oft erlebe ich, dass Kinder verwöhnt oder vernachlässigt werden, dass sie wenig Beachtung erhalten oder das Handy ihnen vorgezogen wird, dass der Dialog mit ihnen zu kurz kommt, oder Erziehungsfloskeln ausreichen sollen, sie in die gewünschte Richtung zu bewegen. Zu oft denke ich: Das Kind mit seinen Bedürfnissen und Interessen, auch mit seinen Anlagen und Fähigkeiten, wird zu wenig gesehen. Solche Beobachtungen beschäftigen mich seit langem, und so lag für mich nicht nur dieser Titel nahe, sondern mit ihm auch der Wunsch, das Kind selbst in den Fokus zu rücken, es gleichsam „ranzuzoomen“, deutlicher erkennbar werden zu lassen und damit auch Menschen, die das Buch lesen, zum genaueren Hinsehen anzuregen. Das Ziel war, für dieses Buch nicht nur über Kinder zu sprechen, sondern auch mit ihnen, d. h. sie selbst zu Wort kommen zu lassen.

 

Durch einige Fortbildungen und Kollegiale Unterrichtsreflexionen an der Weerth-Schule Detmold hatte sich eine enge Zusammenarbeit mit dieser Schule entwickelt, und so bot sich mir hier die Gelegenheit, mit einer 3. (und später dann 4.) Grundschulklasse zu arbeiten. Ein vierzehntägig stattfindender Kindergesprächskreis wurde eingerichtet, in dem sich die Kinder zu Fragen der Erziehung und des Kindseins, d. h. zu Themen, von denen sie unmittelbar betroffen sind, äußerten. So ging es beispielsweise um die Frage: „Was ist Trost – und was nicht?“ Es ging um Themen wie „Geschwisterrivalität“ und „Verwöhnung“, um „Lob“, „Beachtung“, „Verständnis“ und „Neugier“. Zwar war ich davon ausgegangen, dass die Schülerinnen und Schüler als Experten für das, was wir Erwachsene mit ihnen tun und wie wir mit ihnen umgehen, in der Lage sein würden, über ihre Erfahrungen zu berichten und diese im Dialog mit den anderen Kindern auch zu reflektieren. Ich hatte jedoch nicht mit einem so hohen Niveau, mit einer solchen Differenziertheit und Aussagekraft gerechnet und fühlte mich auch im Nachhinein in meinem Eindruck bestätigt, dass wir die Kinder in vielen Lebensbereichen zu wenig einbeziehen. Das Buch „Das übersehene Kind“ ist gekennzeichnet durch den stetigen Wechsel zwischen meiner eigenen Reflexion und den Gedanken der Schülerinnen und Schüler, die hier wörtlich wiedergegeben werden. Es „lebt“ jedoch von der erfrischenden Originalität der Kinder: „Wenn meine Eltern mich sehen und mit mir reden, dann gibt das gute Gefühle. Dann hüpft es in meiner Seele“ (Linus).

Persönlich

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Ich bin verheiratet mit dem niederländischen Künstler Jos Letschert.

Wir leben im Lipperland, mitten im Teutoburger Wald und in der Region der Weserrenaissance. Unsere beiden Söhne leben mit ihren Familien in den Niederlanden.

 

Neben der Individualpsychologie Alfred Adlers und dem Schreiben pädagogisch-individualpsychologischer Texte habe ich zwei weitere Leidenschaften: die Musik, insbesondere das Klavierspiel, und die Fotografie. Ich wurde von Frau Prof. Renate Kretschmar-Fischer an der Nordwestdeutschen Musikakademie Detmold (heute Hochschule für Musik) unterrichtet und habe dort bis zu meinem Abitur als Jungstudentin und anschließend als Studentin studiert. Obgleich ich mich letztlich für die Erziehungswissen-schaft und Pädagogik entschieden habe, nimmt das Klavierspiel nach wie vor einen herausgehobenen Stellenwert in meinem Leben ein. Ich habe auch später immer mal wieder bei Frau Kretschmar-Fischer Unterricht genommen – Stunden, die mich nicht nur musikalisch, sondern auch persönlich geprägt haben. Frau Kretschmar-Fischer ist 2016 im Alter von 90 Jahren gestorben. Sie hat bis zuletzt einige ihrer ehemaligen Schülerinnen und Schüler – u. a. Matthias Kirschnereit – unterrichtet. 

 

Mit der Fotografie bin ich aufgewachsen. Mein Vater fotografierte leidenschaftlich gern. Er war mein erster Lehrer und schenkte mir auch meinen ersten Fotoapparat, als ich in die Grundschule kam. Später habe ich viel von verschiedenen deutschen und niederländischen Fotografen gelernt, u.a. von Marcus Reichmann und Willem Wernsen. Inzwischen ist unser Sohn, Jasper Letschert, einer meiner wichtigsten Dialogpartner.

 

Obgleich es mir aus Personen- und Datenschutzgründen nicht immer möglich ist, Fotos von Menschen auf meiner Website zu veröffentlichen, ist die Fotografie von Menschen, vor allem von Kindern in sozialen und schulischen Kontexten, einer meiner Schwerpunkte in der Fotografie. Weitere Themen sind meiner fotografischen Website www.beateletschert.de zu entnehmen.